Hier geben wir Ihnen die Möglichkeit, einen Blick in unsere neu erschienenen Bücher zu werfen!

 

   

 


Jacob Böhme

 

Das erstaunliche Leben

 

des ersten deutschen Philosophen

- EDITH MIKELEITIS -

 

Dichter Flockenfall verschleierte die novemberliche Landschaft und gab dem Auge nur einen kleinen Umkreis frei. Das Bild schien immer dasselbe, so viele Meilen die Pferde auch schon zurückgelegt hatten.

 

Die beiden abgetriebenen, aber edlen Pferde, die sich auf dem weichen und von Holzfuhren ausgegleisten Weg durch ein Tal des Riesengebirges Schritt für Schritt gegen Wind und Schnee durchkämpften und nur noch mühsam vorwärtsstolperten, trugen zwei von Müdigkeit gebeugte Gestalten. Die Reiter hockten verloren im Sattel, den Kopf vorgeschoben, die Hände um die Zügel verkrampft, den Blick starr geradeaus gerichtet. Der Bach, dessen Quelle sie entgegenstrebten, rauschte dumpf und voll neben ihnen im Übermaß seines vom Gebirge herabstürzenden Wassers.
  Obwohl die Reiter dunkle Mäntel mit Kapuzen trugen, die ihre Gesichter halb verbargen, konnte man doch an Mund und Kinn erkennen, dass sie noch sehr jung waren. Ihre weichen Gesichtszüge verrieten ihre Untauglichkeit zum Kriegshandwerk, und sie wagten viel, wenn sie sich in diesen wilden Zeiten auf den Landstraßen zeigten. Die geistige Befreiungstat Luthers lag hundert Jahre zurück, aber erst jetzt brachen überall, gleich lange verborgenen und unterdrückten Krankheitsherden, Hader, Zwist, dumpfer Groll, leidenschaftliche Parteinahme auf und ergossen sich über die in suchender Not aufgepeitschten Menschen deutschen Blutes. Ihr innerstes Teil, ihrer Seelen Heil oder Unheil, schwankte gefährlich im Meinungsstreit der Großen. Sie waren zum freien Denken und zum furchtlosen Nachspüren der Wahrheit aufgerufen worden, aber damit hatte man auch der Zügellosigkeit und dem Irrtum Tür und Tor aufgesperrt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Den beiden Reitern schien endlich Erlösung aus der grauen Eintönigkeit ihres Ritts zu winken, als sie rasch sich nähernde Huftritte hörten, die im Wald bald deutlicher, bald schwächer ihnen entgegenhallten. Doch anstatt Ermutigung und Freude zu zeigen, spannten sich ihre Gesichter. Sie hielten ihre Pferde an, und in ihre Augen trat ein gehetzter Ausdruck. Besonders die Züge des jüngeren Reiters, sehr zarte und schöne Züge, verzogen sich zu einem ängstlichen und unmännlichen Weinen, und sein Blick irrte hilfesuchend zu dem älteren Gefährten. Dessen größere und härtere Ruhe mochte dem Jüngeren Trost geben, denn er drängte sein Pferd näher heran, als suche er Schutz. Obwohl auch weich und zart, waren des älteren Reiters Züge dennoch völlig anderer Art: groß, aufgeschlossen, von einer schweren Schönheit und verhaltenen Leidenschaftlichkeit. Die Augen, denen eine helle, in ihrer Tönung zwischen dem Blau des Wassers und dem des Himmels eigentümliche Färbung alle Frische und Ursprünglichkeit der Natur gab, schienen in ihrer Lebendigkeit ein außerordentliches Schicksal anzukündigen.

 

Der Ältere reichte seine kräftige und schlanke Hand, die trotz Nässe und Kälte ohne Handschuh war, dem verängstigten Gefährten wie zum Bund. Dann spähte er durch den nicht enden wollenden Schneewirbel nach den sich nähernden Reitern aus. Aber erst kurz vor ihnen tauchten die Fremden sichtbar auf, fünf verwegene Gestalten in einer zusammengewürfelten, abenteuerlichen Kleidung, wie sie der Zufall und das wilde Leben der Straße ergeben. Ihre Gesichter, vom Elend und von Ausschweifungen ausgezehrt und zu Fratzen verzerrt, hoben sich witternd, als sie den beiden zaghaften Reitern nahe gekommen waren. Tieren der Wildnis gleich spürten sie gewissermaßen, ohne zu sehen, ob ihnen Gefahr drohte oder nicht. Als sie sich mit Ohren, Augen und Gefühl davon überzeugt hatten, dass sich hinter den wehrlosen Gestalten keine Feinde verbargen, begannen sie ihr unheimliches Spiel mit ihnen zu treiben.....






Trixi im Morgenland - Band 1
Trixi entdeckt ihr Seelentier

Philipp Wohlwill, Maik Hosang (Hrsg.),
Michaela Lelanz (Illustrationen)

 


Trixi wachte auf, weil ihr eine der drei Morgenländer Sonnen ins Gesicht schien. Sie spürte die angenehme Wärme auf den Wangen. Im Morgenland ging frühmorgens eine gelbe Sonne auf, am Vormittag erhob sich eine orange und am frühen Nachmittag eine rote. Die drei Himmelslichter waren alle unterschiedlich lang zu sehen, sodass sie abends zur gleichen Zeit und gemeinsam untergingen. Dementsprechend hatte das Morgenland atemberaubende Sonnenuntergänge zu bieten.
  Von ihrem Bett aus schaute Trixi durch das Fenster auf die Baumkrone des Kirschbaumes, der schon seit Generationen im Garten der Familie Lichtert stand. Trixi betrachtete die weiße Blütenpracht noch eine Weile. Der Baum wiegte sich leicht im Wind und ab und zu löste sich eines der weißen Blütenblätter und wurde davongetragen, blieb kurz auf einem Ast liegen, schwebte weiter, wurde den Wolken entgegen geblasen und schaukelte dann langsam zur Erde hinab.        
  „Wie ein Kind auf einer Schnitzeljagd“, dachte sie laut, „immer dem nächsten Hinweis folgend, dem Ziel entgegen, ohne zu wissen, wohin es geht.“       
  Ihre Gedanken schweiften ab und trugen sie zurück zu ihrem gestrigen Erfolg. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah auf dem Regal, welches rechts von ihrem Bett stand, ihre Pokale stehen. Gestern hatte Trixi ihre zweite Geländejagd gewonnen und sie war darauf sehr stolz. Mit Recht, denn alle Kinder im Morgenland liebten die Geländejagden und fast alle gaben sich dabei richtig viel Mühe. Meist deutlich mehr als in der Schule.

Trixi schaute wieder aus dem Fenster auf den Baum. Weil sie jeden Abend mit dem Blick auf den Baum einschlief und jeden Morgen damit aufwachte, war der Wunsch in ihr herangereift, einmal in dem Baum selber zu schlafen. Erst war es nur deshalb, um einmal die andere Seite kennen zu lernen, um am Morgen durch das Fenster in ihr Zimmer und auf ihr Bett zu schauen. Inzwischen aber hatte sich der Gedanke vom Schlaf in den Bäumen zu einer fixen Idee entwickelt und da sie hervorragend klettern konnte, hatte sie auch schon einige Astgabeln im Morgenland gefunden, auf denen es sich ihrer Meinung nach hervorragend schlafen ließe. Ihre Eltern allerdings teilten die Begeisterung für Trixis Wunsch keineswegs und so blieb es bisher beim Träumen.






Trixi schwang die Beine aus dem Bett. Bei dem Gedanken an ihre Eltern hatte sie nicht nur plötzlich Hunger bekommen, es war ihr auch eingefallen, dass heute ein Ausflug mit Mama und Papa zum Abendsee auf dem Programm stand und darauf freute sie sich nicht weniger als auf die nächste Geländejagd.    
  Der Abendsee war einer von vielen Seen im Morgenland. Da das Morgenland sich selber immer mal wieder veränderte und dann ein alter Berg von einem neuen See ersetzt wurde oder eine Straße einem Rodelhügel Platz machte, ver-änderte sich die Zahl von Seen im Morgenland immer mal wieder. Der Abendsee aber war besonders beliebt, weil er immer schon da war und man davon ausging, dass er auch bleiben würde. Man lief also keine Gefahr, mitten im schönsten Badespaß plötzlich auf dem Trockenen zu sitzen.

Es gab natürlich auch noch den Morgensee, aber der war in der Morgenhöhle und man sah ihn ausschließlich zu dem Ritual, bei dem die Kinder im Morgenland zu Jugendlichen wurden. Trixi aber musste sich zunächst einmal in ihr Seelentier verwandeln. Damit rechnete sie jedoch nicht so bald.    
  „Nicht vor deinem nächsten Geburtstag“, hatten Mama und Papa gesagt, als sie das letzte Mal gefragt hatte.  
  Heute war dennoch ein besonderer Badetag, denn man konnte vom Abendsee aus immer die drei Sonnen untergehen sehen und bis zu dieser Zeit durfte Trixi heute auch mit ihren Eltern am See bleiben.

Auf der Fahrt zum Abendsee dachte Trixi über ihr Seelentier nach. Genauso wie viele ihrer Freundinnen wünschte sie sich nichts sehnlicher, als ein Seelentier zu werden, das ganz besondere Kräfte besaß - wie eine Fee oder ein Einhorn. Ein Schmetterling wäre auch toll, dachte sie. Leider aber, das wusste Trixi so gut wie alle anderen, waren die Möglichkeiten sehr begrenzt. Es gab nur eine bestimmte Anzahl von Seelentieren und welches davon sie werden würde, hing stark davon ab, welche Seelentiere ihre Eltern hatten.
  Herr und Frau Lichtert hatten ziemlich alte Seelentiere, die das Morgenland heutzutage schon nicht mehr vergab. Herr Lichtert war ein Säbelzahntiger. Wenn er sich in sein Seelentier verwandelte, konnte er zwar so schnell laufen wie ein Auto fährt, aber die langen Zähne waren recht gefährlich und störten mehr als sie halfen. Frau Lichtert hatte es noch schwerer, denn sie konnte sich eigentlich nie in ihr Seelentier verwandeln. Sie war ein Blauwal. Für Trixi bedeutete diese alte Mischung aber viele Möglichkeiten zwischen groß und klein, Land und Wasser, schnell und langsam - nur fliegen würde sie wohl nicht können. Das machte sie zwar etwas traurig, aber sie war sich sicher, dass ihr Seelentier ihr bei den Geländejagden nur helfen konnte.....